Bei Familie Aras in Kagel ist das Leben häufig etwas bunter als bei den meisten anderen. Denn immer wieder hat das Quartett junge Leute aus der weiten Welt bei sich zu Gast. Gerade erst ist die 17-jährige Mexikanerin Paola Ximena Cruz Solis abgereist – und schon steht der nächste Besuch an: Ende August kommt Amaia aus Spanien und bleibt bis kurz vor Heilig Abend.
„Grünheide im Blick“ hat den neun Jahre alten Vincent Aras (Grundschule Grünheide) und Ximena (Schweizerschule Mexiko/Docemus Grünheide) zu ihrer gemeinsame Zeit befragt.
Vincent, warum habt ihr euch für die Aufnahme einer Gastschülerin entschieden?
Wir wollen neue Länder kennenlernen, aber reisen kostet momentan sehr viel Geld. Außerdem bringen die immer tolle Gastgeschenke mit. Ich habe schon drei Fußballtrikots aus unterschiedlichen Ländern. Mama würde jetzt sagen, damit mein großer Bruder Constantin besser Spanisch und Englisch lernt.
Was wusstet ihr von Mexiko, der Kultur, den Gepflogenheiten?
Dass es da leckeres Essen gibt und viel Sonne. Und, dass sie Spanisch sprechen.
Habt ihr an eurem Alltag etwas geändert?
Nein, gar nicht. Ich habe viel mit Mena gespielt. Und manchmal musste ich schneller essen, da sie auch gerne isst und ihr irgendwie alles schmeckte, was Mama gekocht hat. Und, schwupp, war es dann alle.
Erzählt doch bitte ein, zwei besondere Erlebnisse …
Ximenas Geburtstagsfeier bei uns im Garten war super lustig. Es kamen noch zwei mexikanische Freunde aus Berlin und zwei Schulfreundinnen von Docemus. Das war so cool. Alle haben gelacht und wir haben Wikinger-Schach gespielt. Das kannte keiner, ich schon. Constantin und ich haben es erklärt und dann wurde es wirklich aufregend. Wie ein Wettkampf. Mama meinte schon, es sei wie im Fußballstadion. Emmanuell und Frederico, die Freunde aus Mexiko, waren echt witzig. Einer hat dann noch bei uns geschlafen, weil wir so lange gefeiert haben, dass kein Zug mehr für ihn fuhr. Beim Frühstück hat er Mamas Johannisbeer-Gelee fast aufgegessen, weil es ihm so sehr geschmeckt hat.
Fällt dir noch etwas ein?
Ja. Was auch komisch war, Mena kannte kein Ostern, also kein Ostereier-Suchen. Sie brauchte echt lange, bis sie ihre Nester gefunden hatte. Wir haben auch Ostereier bemalt und sie hat ein Mexiko-Ei gemacht. Einige Eier und unser gebasteltes hat sie mit nach Hause genommen und wird sie ab sofort zu Ostern dort aufhängen.
Gibt es in eurer Familie Erfahrungen mit Schüleraustauschen und weitere Pläne?
Wir machen das schon eine ganze Weile. Wir hatten schon Luciana und Juan aus Kolumbien sowie Carolina aus Uruguay bei uns. Jeder ist anders, aber es ist immer schön. Sie werden zu großen Schwestern und Brüdern und dann fällt es echt schwer, wenn sie wieder gehen. Alle sagen immer, sie wollen nicht nach Hause. Wir sind ihre deutsche Familie. Aber wir halten immer noch Kontakt zu allen. Luca hat uns nach Kolumbien eingeladen und Mena nach Mexiko. Mama sagt, vielleicht klappt es nächste Sommerferien und wir fliegen nach Mexiko. Das wäre megaklasse. Von Luca kommt wahrscheinlich die Schwester nächstes Jahr zum Austausch und macht am Ende auch noch Urlaub bei uns. Da freue ich mich schon riesig drauf. Wir werden immer wieder Austauschschüler aufnehmen. Es macht einfach Spaß.
Hast du noch eine nette kurze Anekdote parat?
Die erzählt Mama.
Iris Trog-Aras: Mena hat noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen. Und da sie dieses Jahr Anfang Februar gekommen ist, hatte sie Glück. Wir mussten erst einmal warme Winterkleidung kaufen – so was gibt es nicht wirklich in Mexiko. Dann schneite es abends und als einiges liegen blieb, bin ich mit ihr raus und wir haben im Schnee gespielt. Es gab eine Schneeballschlacht – mit sehr kleinen Schneebällen. Sie hat einen Mini-Schneemann gebaut, einen Schnee-Engel gemacht, rannte die ganze Zeit wie ein kleines Kind durch den Garten und versuchte, die Schneeflocken mit der Zunge zu fangen. Es war herrlich anzusehen. Ein so großes Mädchen war einfach nur glücklich. Auch wenn sie sagt, sie sei kein Wintermensch, weil es ist ihr einfach zu kalt… Es war toll für sie, einmal in ihrem Leben Schnee gesehen, gekostet und darin gespielt zu haben.
Ximena, warum hast du dich für Deutschland und dann für Grünheide entschieden?
Ich wollte mein Deutsch verbessern und eine andere Kultur besser kennen lernen. Ich bin nach Grünheide gekommen, weil ich in den Unterlagen der Agentur (DID Deutsch-Institut) darum gebeten habe, dass meine Gastfamilie in der Nähe von Berlin wohnt. Ich dachte, die Stadt hat Ähnlichkeiten mit Mexiko-Stadt. Aber Berlin ist doch ganz anders.
Was ist hier ähnlich deinem Zuhause und was eher nicht?
Beides ist eher unterschiedlich als ähnlich. Zum Beispiel die öffentlichen Verkehrsmittel. In Mexiko-Stadt bewege ich mich immer mit dem Auto und hier habe ich es fast gar nicht benutzt. Wir haben auch anderen Essenszeiten als in Deutschland. Normalerweise frühstücken wir in Mexiko um 9 Uhr, essen um 15 Uhr Mittag und um 20 Uhr zu Abend.
Was war für dich die größte Umstellung?
Das war das Leben in einer anderen Familie und zudem noch in einem anderen Land. Aber letztlich war es auch das Beste. Ich habe die Zeit mit meiner Gast-Familie und in Deutschland sehr genossen.
Gefällt dir etwas besser als zu Hause?
Die Freiheit, die mir meine Gastmutter gab, die Unabhängigkeit, die ich hatte. Was meine Gast-Familie betrifft, so war eines der besten Dinge, dass ich hier jüngere Brüder hatte. Ich habe gern die Rolle der großen Schwester übernommen, mich um sie gekümmert und mit ihnen gespielt. In Mexiko habe ich einen Bruder, der 23 Jahre alt ist.
Erzähle doch bitte auch du ein, zwei besondere Erlebnisse …
Ich glaube, jeder Moment war etwas Besonderes und jeder Tag anders. Aber einer meiner Lieblingstage war definitiv der Tag im April, an dem ich meinen 17. Geburtstag feierte. Meine Gasteltern organisierten eine Party mit den Großeltern, Brüdern, Nachbarn, einigen Freunden und ihnen. Wir haben gegrillt, getanzt, Spiele gespielt und geredet. Das war ein Tag, den ich wirklich in meinem Herzen trage. Ein anderer war das mexikanisch Kochen. Wir haben einen mexikanischen Tag gemacht, an dem wir ein Menü gekocht haben und jeder etwas anderes probiert hat. Die Mole war zum Beispiel nicht ihr Lieblingsgericht, aber die Enchiladas haben ihnen am besten geschmeckt.
Hattes du Heimweh?
Ja. Es war nicht leicht, sich an eine völlig andere Dynamik als in meiner Familie anzupassen. Aber mit der Zeit gewöhnte ich mich an das Leben in meiner deutschen Familie.
Was hast du hier vermisst und was wirst du nun umgekehrt vermissen?
Zuerst meine Familie und meine Freunde, aber in den letzten Tagen hier wollte ich gar nicht wieder weg. Ich werde alles vermissen: das leckeres Essen, meine neuen Freunde, die Freiheit, aber hauptsächlich meine Gast-Familie.
Wie hast du den Schulalltag erlebt?
Schule war ziemlich gut. Anfangs war es ein bisschen schwierig, alles zu verstehen. Aber mit der Zeit wurde es besser. Die Lehrer waren sehr geduldig und immer bereit, mir zu helfen. Mein Klassenlehrer und einige andere Lehrer waren Spanier, wir haben uns sehr gut verstanden. Ich habe tolle Freunde gefunden, die mir immer geholfen haben, den Unterricht besser zu verstehen und die Tage angenehmer zu gestalten.
Welchen Hobbys konntest du nachgehen?
Ich hatte die Möglichkeit, weiter Ballett zu tanzen. Was ich aber noch mehr gemacht habe, war mit meinem kleinen Bruder Fußball zu spielen. Ich war mit meinem Gastvater bei einem Spiel von Union Berlin und habe mit meiner Gastmutter gebastelt. Und obwohl es kein Hobby ist, werde ich eine Aktivität in mein Leben in Mexiko integrieren: das Putzen.
Familie Aras hat am 16. Juli Abschied vom Ximena genommen. Das allerdings mit einem besonderen Abend: Menas Eltern und ihr Bruder waren gekommen, um sie abzuholen. So wurde ein gemeinsames Abendessen beim Griechen am Bahnhof Fangschleuse ein weiterer besonderer Moment. (Anke Beißer)