Fremder Blick auf Kagel

Dieser Tage streift ein neues Gesicht durch Kagel und die nahe Umgebung. Die Frau mit dem kurzen Pony und der großen Brille ist mit wachem, beobachtendem Blick in den Gassen, den angrenzenden Wäldern und entlang der Seen unterwegs. Still, aber – wenn es sich ergibt – auch das Gespräch mit einem Passanten suchend. Sarah von Lüttichau ist nicht ohne Grund zu Gast im Dorf. Sie ist Teilnehmerin des Projektes „Campus Kultur“ – einer Kooperation zwischen der Burg Beeskow (Landkreis Oder-Spree) und dem KulTuS e. V. (Märkisch Oderland) im Rahmen des mehrjährigen Landesförderprogramms „Regionale Kulturelle Ankerpunkte im ländlichen Raum“. 2023 als „Campus SCHREIB Kultur“ geführt, zählt die 39-Jährige zu jenen „sechs jungen Publizist:innen, Literat:innen und Wortkünstler:innen, die für jeweils zwei Wochen Menschen in ihrem Alltag begleiten und – jenseits jeglicher Dorfromantik – einen Blick auf das Leben im ländlichen Raum in Oder-Spree werfen“, wie es in einer Pressemitteilung des Landkreises heißt.

In Kagel wurde die „im Nirgendwo bei Eckernförde“ aufgewachsene Autorin, die mit Anfang 20 nach Berlin zog, 15 Jahre in der Metropole blieb und inzwischen in Bremen zu Hause ist, von Elisabeth Turowski aufgenommen. Die Vorsitzende des Heimatvereins, einem der Bündnispartner der Gemeinde Grünheide, gibt ihr für die zwei Wochen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sie ist mit ihrem großen Wissensschatz rund um das Dorf und seine Geschichte auch eine lebhaft sprudelnde Quelle. Sie hilft der Literatin Antworten zu finden auf die Fragen, die sich der Fremden bei ihrem Blick von außen stellen. Aus jenem Blick, aus jener in der Kürze der Zeit nur flüchtigen Begegnung mit Kagel soll eine literarische Arbeit werden, die dem Publikum am 7. Oktober im ZEBRA Kagel vorgestellt wird.

Reflexionen einer Bremerin über Kagel

„Ich maße mir nicht an, nach einem so kurzen Besuch ein Urteil zu bilden“, sagt Sarah von Lüttichau. Es werden Schlaglichter sein, die im Alltäglichen womöglich gar nicht mehr auffallen. Sie kann ihre unvoreingenommene Sicht auf die Dinge einbringen, kann Anstöße geben und von außen reflektieren – in der Summe ein sicher spannendes Experiment. Nach einer knappen Woche, also fast zur Halbzeit, vermochte die junge Frau, die von Hause aus Grafikerin ist, Wirtschaftskommunikation an einer Berliner Fachhochschule studiert hat und derzeit mit ihrer Masterarbeit im Fach „Literarisches Schreiben und Lektorieren“ an der Uni in Hildesheim befasst ist, noch nicht abzuschätzen, wohin sie die Reise führt.

Was sie aber schon zu dem Zeitpunkt wusste, wie sehr ihr das Projekt gefällt. „Ich treffe Menschen, die ich wohl nie getroffen hätte“, erzählt sie begeistert. Sie könne sich intensiv einem Dorf widmen, das sie wohl nie besucht hätte. Und sie hat beides in ihr Herz geschlossen. Sich Neues zu erschließen, ist ihr aufgrund der wechselnden Lebensmittelpunkte nicht neu. Aber, irgendwo anzukommen, braucht Zeit. Und Vertrautsein geht mit Auskennen einher. An der Stelle muss sie improvisieren, um trotzdem den Ansprüchen an ihr literarisches Schaffen gerecht zu werden.

Literatin kommt am Thema Klimawandel nicht vorbei

Was interessant erscheint, schon am Anfang ihrer Recherchen drängte sich ein Thema in den Vordergrund: der Klimawandel. Im Gespräch über den naturnahen Garten ihrer Dachgeberin kam dessen Wandel zu Sprache. Manche Pflanzen blühen kürzer, andere fühlen sich untypischerweise immer wohler. Insekten werden weniger, manche lassen sich gar nicht mehr sehen. Bei den Spaziergängen fallen trockene Fließe auf. Erklärungsversuche für die unübersehbaren Veränderungen stoßen Gedankengänge an, die einen nicht mehr loslassen. „Literatur gibt die Möglichkeit, sich auch diesen, durchaus nicht nur populistischen Themen zu nähern, Anstöße zu geben“, betont Sarah von Lüttichau. „Eben auf künstlerische Art und Weise.“

Ein paar Tage später hat „Grünheide im Blick“ bei der Autorin noch einmal nachgefragt, wie weit das Projekt gediehen ist. Es sei ein Text geworden, bestehend aus Miniaturen – Beobachtungen und Eindrücke, die die 39-Järhige gesammelt hat. Der Ort sei erkennbar, werde von ihr benannt. Von Kagelern habe sie Geschichten und Zitate einfließen lassen, nutze Begegnungen und eingefangene Stimmungen aber auch für Metaphern.

Finale des „Campus SCHREIB Kunst“ in Friedland, Klein Schauen und Kagel

So wie der Bremerin in Kagel ist derzeit Ruth-Maria Thomas in Klein Schauen unterwegs und Lucia Lucia in Friedland. „Was sie recherchieren, beobachten und erfragen, soll zum Stoff für ihre Texte werden, die sie am Ende ihres Aufenthaltes in ihren Gastorten vorstellen“, teilt Stephanie Lubasch als Projektbetreuerin mit.

Die Lesungen sind für Sonnabend, den 7. Oktober, geplant: Mehrzweckhalle Friedland, 11 Uhr; Dorfplatz Klein  Schauen, 15 Uhr; ZEBRA Kagel, 18 Uhr. (Anke Beißer)

Service: Wer alle drei Lesungen erleben möchte, kann in den „Campus“-Bus steigen, der um 10.15 Uhr am Parkplatz an der Burg Beeskow startet (10.30 Uhr Bahnhof Beeskow) und dort am Abend gegen 21 Uhr wieder Halt macht. Um eine Anmeldung dafür wird dringend gebeten (Tel. 03366 35-2706; info@burg-beeskow.com). Die Mitfahrt ist ebenso wie der Eintritt zu allen Lesungen kostenfrei.