Berta und Schürze sind in diesem Jahr wirklich fleißig gewesen. Die zehnjährige europäische Breitrandschildkrötendame hat sich von ihrem gleichaltrigen Mitbewohner für das Liebesspiel im Freigehege in Simone und Jens Matzkes Garten erweichen lassen und zwei Gelege vergraben. Das Freienbrinker Paar hatte ein Auge darauf, wollte das Experiment wagen, dem Nachwuchs im Inkubator ins Leben zu verhelfen. Ein Zufall hatte im Vorjahr schon einmal solches Glück beschert, wenn auch in viel geringerem Ausmaß als jetzt.
Aber der Reihe nach. Die Matzkes, auch als aktive Mitstreiter der Interessengruppe Freienbrink bekannt, sind vor zehn Jahren auf die Schildkröte gekommen. Der heute 57-Jährige hatte damals in der Zooabteilung eines Marktes gearbeitet und war von den Fischen zu den Reptilien versetzt worden. „Schlangen, Vogelspinnen und Schildkröten waren von nun an in meiner beruflichen Obhut“, erzählt Jens Matzke. Das Wissen über diese Arten, ihre Haltung und mehr hat er sich systematisch angelesen. Und rasch hatte der Freienbrinker sein Herz an die Panzertiere verloren. Für ihn stand fest, er wollte ein paar Exemplare in den heimischen Garten, in ein Paradies voller Pflanzenpracht – exotisch wie heimisch – holen. Ohne damals zu wissen, dass die Europäische Sumpfschildkröte das Wappentier seiner Heimatgemeinde Grünheide ist, befasste er sich zuerst mit dieser, weil eher einheimischen Art. Mangels Teich und ob des großen Aufwandes, einen solchen anzulegen und zu pflegen, fiel die Wahl auf die Landschildkrötenart. „Sie ist eigentlich in Griechenland zu Hause, lässt sich aber auch in unseren Gefilden artgerecht halten.“
Nach 90 Tagen hat es knack gemacht
Die Geschlechtsreife gepaart mit dem Wohlfühlfaktor hatte im Vorjahr erstmals zur Ablage tatsächlich befruchteter Eier geführt. Matzke hatte das beobachtet, aber auch festgestellt, dass nichts weiter passierte. Als es herbstlich und somit kühler wurde, holte er die drei Eier aus dem Gehege, legte sie in einer Kiste in den stabil auf 25 Grad gehaltenen Heizungsraum. Und siehe da, Anfang Oktober machte es knack und der erste Schuldkrötenjunge kämpfte sich ans Licht. Zwei Brüder folgten, von denen aber nur einer tatsächlich den Sprung ins Leben schaffte. So groß wie eine Zwei-Euro-Münze waren die Minis zu Anbeginn, heute, ein Jahr später ist das Paar so groß wie ein Handteller. „Es ist großartig, sie wachsen und gedeihen zu sehen“, sind sich Simone und Jens Matzke einig. Was im Vorjahr eher ein Zufallserfolg war, sollte in diesem Jahr nach allen Regeln der Zucht ausgeführt werden.
„Wir bekamen Anfragen von Interessenten. Als absehbar war, dass wir die Schildkröten weitergeben können, haben wir uns auf das Experiment eingelassen“, berichtet Matzke. Allerdings müssen die künftigen Schildkrötenbesitzer ihrerseits auch einiges tun, um wirklich ein Panzertier abzubekommen. „Wer ernsthafte Absichten hegt, muss ein Freigehege an geeignetem Ort in geeigneter Form bauen, was ich kontrolliere, sich mit der Haltung befassen und sich am Ende einer kleinen Prüfung unterziehen“, nennt der Freienbrinker seine Bedingungen. Dem neuen Besitzer muss zudem bewusst sein, dass die Tiere 80 bis 100 Jahre alt werden. Da schwingt sehr viel Verantwortung mit. Passt alles und haben seine Schildkröten vom amtlicher Stelle die Papiere, können sie umziehen.
Im Sommer hieß es dann die Augen offen halten. Die Eiablage dauert zwar einige Stunden, ist sie aber beendet, ist das Gelege vergraben, richtet die Mutter die Stelle so gut her, dass sie nicht mehr auszumachen ist. Anfang Juni beobachtete Matzke den ersten Akt. Von den acht Eiern war laut fachmännischem Blick nur die Hälfte befruchtet. Mit dem Wissen um die gesicherte Zukunft des Nachwuchses wanderte das Quartett in den Inkubator Marke Eigenbau. Dahinter verbirgt sich eine Styropor-Kiste mit etwas Wasser, hinein wird eine Dose mit Granulat und den Eiern gestellt sowie eine Heizschleife ausgelegt. Diese wird konstant auf 31,5 Grad gehalten. „Es sollten Mädchen werden. Temperaturen unter 30 Grad sorgen für männlichen Nachwuchs“, weiß der Züchter. 60 Tage später durchbrachen zwei Babys ihre Eierschale, weitere zwei Tage später das zweite Paar. Mitte Juni hatte Jens Matzke das zweite Gelege mit sechs Eiern ausgemacht. Und abermals 60 Tage später hatte auch dieses Sextett das Licht der Welt erblickt.
Was nun folgte und bis heute nicht zu Ende ist, kann getrost als Rund-um-Betreuung bezeichnet werden. Simone Matzke, Immobilienkauffrau im Homeoffice, hat die Rasselbande, wenn sie wach ist, jederzeit im Blick. „An dem Tag, als die ersten Tiere geschlüpft sind, waren wir zu einem Geburtstag eingeladen. Ich habe die Schildkröten in einem Karton mitgenommen. Sie müssen immer rasch umgedreht werden, wenn sie auf dem Rücken liegen.“ Fressen alle genug? Stehen sie zu sehr oder zu wenig in der Sonne? Sind sie munter oder schwächeln sie? Der 56-Jährigen entgeht keine Auffälligkeit.
Gefüttert wird die Mädels-WG mit Kräutern aus dem Garten. Jetzt zum Herbst hin brauchen die Schildkröten noch spezielles Trockenfutter aus der Zoohandlung, damit sie sich für die Winterstarre wappnen können. Am 11.11. schicken die Matzkes den Nachwuchs mit den erwachsenen Tieren in den Winterschlaf. Dazu geht es ab in den Keller in einen alten Kühlschrank. Nach zwei Monaten ist zumindest für die Minis das starre Dasein schon wieder vorbei. „Weil sie sich noch nicht genug für eine lange Pause anfuttern können, werden sie eher wieder ins Warme geholt“, erklärt das Freienbrinker Paar.
Wer die Chance hat, Simone und Jens Matzke im Umgang mit ihren Tieren zu beobachten, spürt die Ernsthaftigkeit und die Liebe, die sie für das Hobby aufbringen. Die Schildkröten zu beobachten sei besser als jedes Fernsehprogramm. „Es entspannt und der übrige Ärger wird ausgeblendet“, sind sich beide einig. Und das Strahlen in ihren Augen, wenn sie dem einzigartigen Nachwuchs in der Kinderstube zusehen, versprüht auch Stolz, dieses Wunder der Natur miterleben zu dürfen. (Anke Beißer)