Wenn das Wetter am Donnerstag stimmt, wird es wieder viele Menschen in der Region auf ihre Fahrräder ziehen, um den Himmelfahrtstag im Grünen zu verbringen. Wer eine Tour plant, schaut gerne nach den Angeboten, welcher Biergarten auf der Route liegt und sich für eine kleine Pause anbietet. Tatsächlich hat der Ortsteil Grünheide noch ein gutes Dutzend an Einkehrmöglichkeiten vom Bahnhof über Fangschleuse bis hin zum Marktplatz aufzuweisen. Zumindest der „Heydewirt“ in der Karl-Marx-Straße setzt dabei eine Tradition fort, die bis in die „goldenen Zeiten“ der Biergartenkultur zurückreicht. Denn die Gemeinde, Eigentümer des Domizils, hatte sich Mitte der 2010er Jahre entschlossen, das Gebäude samt besagtem Garten herzurichten. Seit Himmelfahrt 2017 ist es an einen Gastronomen verpachtet und an altem Platz zu neuem Leben erweckt.
Einer, der sich mit der Historie des Ortes bestens auskennt, ist Eberhard Rüdiger. Der heute 79 Jahre alte Fangschleuser entstammt einer Familie, die schon über viele Generationen hinweg am Werlsee zu Hause ist. Bei einem Blick in die Heimatstube im Grünheider Havemann-Klubhaus ruft er die Hoch-Zeit der Biergärten in Erinnerung. Schon ein flüchtiger Blick auf die zwei Schautafeln und die dazu gehörenden dicken Ordner reicht, um zu erahnen, dass Ausflügler und Einheimische in den 1920er Jahren die Qual der Wahl hatten. Mehr als 40 Wirtschaften, viele mit angelagertem Hotel- oder Pensionsbetrieb, buhlten um Gäste. Mittlerweile 100 Jahre alte Schwarz-Weiß-Fotos und ebenso alte Postkarten zeigen, dass manch ein Restaurant zumindest einen eigenen Anlegesteg hatte, andere sogar mehrere. Was den meisten gemein war: Sie warteten mit einem idyllisch, unter großen Bäumen und direkt an einem der Gewässer gelegenen Biergarten auf.
Mehrere Hundert Sitzplätze unter freiem Himmel
Rüdiger startet mit seinem historischen Exkurs in Kagel-Finkenstein. Hier waren die „Strandterrassen Möllenhort“ beheimatet, ein Restaurant mit 1500 Sitzplätzen und Dampferanlegestelle am nörlichen Zipfel des Möllensees. Von dort aus führte schon damals ein Wanderweg am Möllensee entlang in Richtung Süden. Auf dem Gelände des heutigen Zeltplatzes hofierte das Restaurant „Zeugners Waldidyll“ mit mehreren Steganlagen und einem Angebot von „ein paar Hundert Sitzplätzen unter freiem Himmel“ seine Kundschaft. Übrig geblieben ist von dem Etablissement nach 1945 lediglich das Fundament, auf dem der heutige Platzwart-Bungalow steht. In Altbuchhorst angekommen, begann ein nahezu überbordendes Angebot. Ob „Zur Spiegelquelle“ am Burgwall, „Zeugners Waldschlösschen“ nahe der Kreuzung von heutiger Hubertus- und Altbuchhorster Straße oder „Hotel und Restaurant Möllensee“ nebst Kegelbahn (heute ein Wohnhaus) und das Strandschloss inmitten der Altbuchhorster Straße – alle waren, was die Kapazitäten anbelangt, sehr großzügig angelegt und hatten zumindest in den 1920er-Jahren auch nebeneinander ihr Auskommen. Es sei schon erstaunlich, sagt Eberhard Rüdiger, dass es an verschiedenen Stellen im Ort regelrechte Ballungen von Gaststätten gab.
Der „Heydewirt“ bedient seine Gäste an historischem Ort
Zu den Häusern, die es bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts beziehungsweise um die Jahrtausendwende herum gab, zählen die „Werlnixe“ und „Matschke“ an der Kreuzung von heutiger Karl-Marx- und Walter-Rathenau-Straße sowie vis à vis das Restaurant und Hotel „Am Peetzsee“. Letzteres ist als einziges Zeugnis von einst geblieben und beheimatet heute den „Heydewirt“. Was die meisten Häuser einte, war eine damals typische Form der Werbung. Überall wurde auf ein und dieselbe Offerte hingewiesen: „Hier können Familien Kaffee kochen!“

Ein Restaurant indes ging in mehrfacher Hinsicht einen besonderen Weg. „Vater Fielitz“ (Grundstück an der heutigen Ecke Friedrich-Engels-Straße/Waldeck) stach aus allen Angeboten in Grünheide hervor. Sage und schreibe 3000 Gäste fanden hier am Ufer des Peetzsees Platz. „Da haben sieben, acht Dampfer gleichzeitig angelegt“, erzählt der 79-jährige Rüdiger. So etwas wäre heute gar nicht mehr denkbar. Und bei dieser Größenordnung wundert es auch nicht, dass „Vater Fielitz“ über die Ortsgrenzen hinaus bekannt und beliebt war. Zumal der Wirt eine besondere Promotion-Strategie fuhr: Er warb mit seinem schwergewichtigen Teenie-Sohn, der es auf mehr als 200 Kilogramm brachte – was damals für Bewunderung sorgte.

Wo einst Max Schmeling trainierte
Zuletzt lenkt Eberhard Rüdiger den Blick nach Fangschleuse, das den Nachbarn am Peetz- und Möllensee in nichts nachstand. Das Hotel und Restaurant „Seeblick“ in der Werlseestraße, das selbst noch zu DDR-Zeiten ein Publikumsmagnet war, das viel kleinere „Sporthaus“ in der Löcknitzstraße oder aber das mondäne Hotel und Restaurant „Werlsee“ in der Eichenallee – sie alle sind mittlerweile verschwunden, haben aber ihre Spuren in der Heimatchronik hinterlassen. Letzteres übrigens hat Fangschleuse durchaus zu Bekanntheit verholfen, hatte doch einst kein Geringerer als Max Schmeling im Saal ein Boxzentrum eingerichtet. Wie oft er hier war, ist nicht überliefert. „Aber er hat hier tatsächlich trainiert“, betont Rüdiger.
Die hohe Dichte an Biergärten ist übrigens ein typisches Phänomen jener Zeit, zog es doch gerade in den Sommermonaten viele Ausflügler vor die Tore der Hauptstadt, genossen Entspannung Suchende die Angebote am und auf dem Wasser. Das Besondere von Grünheide ist allerdings, dass die Biergartenkultur anders als in den meisten Nachbarorten lebt und es noch immer ein buntes Angebot gibt. (Anke Beißer)