Unscheinbar im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum Kienbaum versteckt befindet sich ein Juwel der Sportgeschichte: die Unterdruckkammer, die zu DDR-Zeiten ausgewählten Spitzensportlern das Training in der (simulierten) Höhe ermöglicht hat, ohne dass diese dafür in die Ferne reisen mussten. Ein graues Gebäude ohne architektonischen Reiz, das in einen mit diversem Grün bewachsenen Hügel mündet. Unter dicken Betonwänden schlummert hier das Kleinod, das auch 30 Jahre nach seiner Stilllegung das Interesse von Sportinteressierten weckt.
Blick ins einstiges Heiligtum
Bisher blieb es jenen Athleten vorbehalten, die sich in Kienbaum auf ihre Meisterschaften und sogar die Olympischen Spielen vorbereiteten, einen Blick in das einst streng geheime Heiligtum zu werfen. Zuletzt, beim jährlichen Sommerfest, zählten auch die Turner Fabian Hambüchen und Lukas Dauser zu jenen Besuchern, die nicht müde wurden, jene, die sich mit der Materie auskennen, zu der einzigartigen Trainingsstätte zu befragen. „Für uns als Turner wäre das keine Option gewesen, aber spannend ist das schon“, sagte Hambüchen, der Weltmeister von 2007 und Olympiasieger von 2016, jeweils am Reck.
Jeden letzten Samstag im Monat sind Besucher willkommen
Und eben bei jenen Fragen kommen die „Bunker-Oldies“ ins Spiel. Sie sind ein wichtiger Teil des Fördervereins Geschichte und Sport Kienbaum. Sie hegen und pflegen die Kammer, stehen für Besucher Rede und Antwort, und wollen dies nun, da das Kleinod inzwischen ganz offiziell zum Museum geworden ist, regelmäßig auch für die Öffentlichkeit tun. Jeden letzten Samstag im Monat, werden die Pforten für Interessierte geöffnet – also kommende Woche, am 31. August, und dann am 28. September und 26. Oktober. Diese Termine sind erst einmal fix. Die Besucher werden dann um 10, 11, 12 und 13 Uhr durch die so lange geheime Sportwelt geführt. Der Eintritt kosten fünf Euro. Die Anmeldung ist per Mail an office@kienbaum-sport.de möglich. „Der 31. August ist schon ziemlich gut gebucht“, weiß Vereins-Vorstandsmitglied Lisa Vogel.
Was aber ist das für eine Truppe und was verbindet sie mit dem Objekt in Kienbaum? Nun, sie alle, bis auf eine Ausnahme – Renate Leck, die durch ihren Partner dazugestoßen ist – haben hier in der Regel viele, viele Jahre gearbeitet. Erna Lehmann (73) zum Beispiel 45 Jahre in der Küche, im Service, in der Gaststätte, beim Bäcker – all das hat es zu DDR-Zeiten auf dem damaligen Sportschul- und Trainings-Gelände des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) gegeben. Zudem Ärzte, Schwestern und ein Labor. Auch Margitta Bohrmann kam auf 42 Jahre in Küche und Service.
Mit dem Bus zum Friedrichstadtpalast und zum Einkaufen
Nur ein Teil der Angebote, vornehmlich die beiden zuletzt erwähnten, spielten in den Jahren nach der Wende noch eine Rolle. „Zu DDR-Zeiten gab es hier bestimmt 240 Mitarbeiter für vielleicht 400 Athleten, Trainer und Betreuer“, erinnert sich Senno Drews (76), 30 Jahre und somit auch schon vor 1989 in dem Objekt im KfZ-Bereich tätig. Es habe damals drei Busse, zwei Lkw, Gabelstapler und Co. gegeben, die er mit am Laufen hielt. Die Arbeiter seien von Zuhause abgeholt und wieder heim gebracht worden. „Es ging auch zum Einkauf nach Berlin, ebenso in den Friedrichstadtpalast. Gegen Bezahlung natürlich“, erinnert er. Dinge, die so ab den 1990er-Jahren unter wirtschaftliche Aspekten natürlich nicht mehr funktionierten.
Nur wenige kannten die exotische Trainingsstätte
Die anderen aus der Runde bringen Erinnerungen aus anderen Bereich ein. Bärbel Sommerfeld war in der Wäscherei und Näherei beschäftigt, Heinz Kolodzeike ein Arbeitsleben lang Schlosser und Hausmeister. Manfred Winge war Handwerker, hat sich um das Heizhaus gekümmert und später auch ums Sportmanagement. Sie alle hatten mit der Unterdruckkammer nie unmittelbar zu tun, durften von ihr eigentlich gar nichts wissen.
Drei, die die exotische Trainingsstätte jedoch von innen kannten, waren Andreas Harzdorf (67) und Fred Sommerfeld (81), die sich als Schlosser und Mechaniker nicht nur um die Anlagen gekümmert haben, sondern den Athleten und dem diese umgebenden Stab auch das Essen gebracht haben. Matthias Handschick war zudem als Messtechniker angestellt.
Wenn es nun darum geht, Interessierten von den Abläufen im Bunker, den Trainingsmethoden und -effekten zu berichten, sind Sommerfeld und Handschick in ihrem Element. Sie übernehmen die Führungen und plaudern dabei gern aus dem Nähkästchen. Rückt das gesamte Gelände in den Fokus, dann steht Kolodzeike bereit und übernimmt den „Außenpart“.
Ehemalige Mitarbeiter halten das Kleinod Schuss
Das hier alles so gut erhalten ist und ansprechend präsentiert wird, ist der Verdienst der gesamten Gruppe. Den Anstoß für das Engagement hatte der in diesem Sommer in den Ruhestand verabschiedete Geschäftsführer des Trainingszentrums, Klaus-Peter Nowack, gegeben. Bei der Verabschiedung von Senno Drews und Erna Lehmann im Jahr 2013, sagte er, dass er Rentner suche, die sich um die Hinterlassenschaften kümmern. Denn über die vielen Jahre hatte sich so einiges angesammelt, das ohne groß darüber nachzudenken, im Gebäude der Kammer zwischengelagert wurde – ohne, dass jemand überhaupt geprüft hatte, ob es lohnt, die Dinge aufzuheben.
Die Truppe hat die Idee dankbar aufgenommen und sich seither für die Geschichte des sporthistorisch bedeutsamen Ortes ins Zeug gelegt. Die selbsternannten „Bunker-Oldies“ haben die Erinnerungsstücke sortiert, zwei Container voll weggeworfen und trotzdem einem beachtlichen Fundus aus der Versenkung geholt. Alle zwei Wochen mittwochs treffen sie sich. Dann werden die Grünflächen und jetzt auch das Museum gepflegt, alte Geschichte aufgewärmt, gemeinsame Erinnerungen geteilt. Alles das stand auf der Kippe, als im Februar 2022 ein Schwelbrand im Bunker unbemerkt für großen Schaden gesorgt hat. Ausgehend vom Elektroraum wurden die Vorräume – anders als die hermetisch abgeriegelte Unterdruckkammer selbst – von einem Rußschleier überzogen. Aber Aufgeben war weder für Kalus-Peter Nowack, noch für die Oldie eine Option. Und so wurde alles nicht nur liebevoll wieder hergerichtet, sondern rechtlich und bautechnisch die Basis für das Museum gelegt.
Was die Bunker-Oldies eint, ist die ungebrochene Beziehung zu dem Ort. Wenn sie erzählen, schwingt Begeisterung und Stolz mit, für große Athleten, aber vor allem auch den Nachwuchs tätig gewesen zu sein. Und, sie haben es immer schwer, auf die immer gleiche Frage zu antworten, wer denn einen besonderen Platz in ihrem Herzen gewonnen hat. „Udo Beyer. Jürgen Schult. Die Turner. Die Kanuten.“ Schnell wird deutlich, es waren sehr, sehr viele, was es unmöglich macht, einzelne herauszuheben. Und das wollen die Bunker-Oldies auch nicht. (Anke Beißer)